„Kameradschaft, Liebe, Freundschaft in den Bünden“ – Wasa & Muck
Es haben sich ca. 20 Jungen und Mädchen zwischen 16 und 26 eingefunden und ca. 5 Altbündische, wir sitzen auf Strohballen in der Jurte des WWV.
Muck leitet ein mit ein paar Fragen in die Runde: Mit dem Wandern hat alles angefangen – so das oft zitierte Wort zum Beginn der Jugendbewegung. Hatten aber nicht auch andere Gruppen zuvor schon gewandert, etwa der Schwarzwaldverein oder der Schwäbische Albverein, bereits um 1880? War da nicht etwas mehr bei diesen ersten Wandervögeln um 1900 im Spiel? Was ist da noch dazugekommen zum bloßen Wandern, zum Unterwegs- und Draußensein in der Natur? Gibt es nicht doch Unterschiede zwischen der Wandergruppe und einer Fahrtengemeinschaft? Worin liegt das darüber Hinausführende, das Neue dieser Jugendbewegung? – Was denkt Ihr?
Neben der Freude an der Natur, am Draußen-Sein und am Abenteuer kommt es in vielen Gruppen schnell zu allgemeiner Kameradschaft, aber auch zu einzelnen Freundschaften. Schnell kommt man zu der Überlegung, daß der Wandervogel vielleicht ein „Verein für Freundschaft“ sei, Freundschaft sei nicht Nebeneffekt, sondern Ziel und Zweck der Wandervogelbewegung. Das erscheint anderen aber zu zielgerichtet.
Doch wie weit dürfen solche Freundschaften gehen? Was wenn Eros hinzukommt? Es gibt Beispiele, wo Bündische das Vertrauen der anderen mißbraucht und Abhängigkeiten ausgenutzt haben. Es wird gerade von einigen Älteren betont, daß hier ein solcher Ort der Freundschaften besonders in der Verantwortung stehe das eine abzuwehren, um den Kern, um den sich Freundschaft entwickeln kann, zu schützen. In diesem Punkt sind sich eigentlich alle einig.
Muck hakt nach: Es ist wohl das Wiederentdecken einer Urform von Gemeinschaft, in der Jugendliche unter sich mit einem selbstgewählten Führer auf gemeinsame Unternehmungen in die Natur aufbrechen abseits zivilisatorischer Gewohnheiten und Zwänge. Kameradschaft wird gefördert durch die Herausforderungen des einfachen, asketischen Lebens. Ein Weiteres ist in diesen Gemeinschaften der Jugendbewegung hinzugekommen: intensive Verbindungen und Freundschaften zwischen den Einzelnen der Gruppe untereinander, wie auch zu ihrem Führer als Mittelpunkt. Man sollte sich nicht scheuen diese Beziehungen als Freundesliebe zu benennen und allgemein von Liebe zu reden bzw. geradezu von einer besonderen Form der Liebe. Gelegentlich wurde und werden Worte wie erziehende Liebe, pädagogischer Eros oder Eros paidikos gebraucht. Muck meint, vor der Freundschaft müsse es schon einen Funken Eros geben. Dieser sei es, der einen zum anderen bringe, ihn öffne und motiviere. Die Freundschaft werde vielleicht unbewußt gesucht, könne aber nicht als Ziel gesetzt werden. Vielmehr meint er, solche Freundschaften würden aus der Nähe zueinander, besonders aber aus den gemeinsamen Erlebnissen erwachsen. Freundschaft könne man nicht erzwingen, sie müsse sich ergeben aus dem langsam erwachsenden Zutrauen zueinander. So wie die Jugendlichen auf Fahrt Wagnisse eingehen und sie bestehen, trauen sie sich auch das Wagnis der Freundschaft.
Ein junger Bundesführer erhebt die Stimme: man sei doch zum Streiten hier, nicht, um sich in allem gleich einig zu sein. Daraufhin gewinnt die Diskussion an Fahrt.
Ein Hortenführer, inzwischen junger Vater, wirft ein, daß selbst wenn solche Freundschaften und Eros ineinander wüchsen, man nicht vergessen und außer Acht lassen kann, was die Gesellschaft darüber denkt.
Andere stimmen ihm zu, wieder andere meinen, daß dies eine sehr konformistische Haltung sei, gerade die bündische Jugend habe schon immer sehr viele Dinge anders gemacht, als der Mainstream der Gesellschaft. Selbst, wenn es für zwei Freunde als schön empfunden werden mag, sich auch körperlich nahe zu sein, kann es für sie schwierig und konfliktreich sein, die gesellschaftliche Dämonisierung zu ertragen.
Es wird nun recht angeregt diskutiert, viele verschiedene Positionen umrissen, vertreten, daß eine Zusammenfassung hier nicht versucht werden soll – statt dessen sei darauf verwiesen das lebendige Gespräch suchen, das kritische Nachfragen und das zur Diskussion Stellen von eigenen Vorstellungen in der Gruppe und bei solchen Gelegenheiten zu suchen. Im interessantesten Fall mit Freunden über die eigene Freundschaft in den Austausch zu kommen, die eigene Freundschaft auch gelegentlich zu reflektieren und miteinander im Gespräch zu thematisieren.
Wasa erwähnt im Anschluß, beim Kaffee in der Jurte der Laninger, da er außer am Anfang nichts weiter in der Runde sprach: „Wenn der pädagogische Prozeß in vollem Gange ist, schweigt der Lehrer.“