Vorbild und Inspiration für die Festschrift war die offizielle Festschrift von 1913, die unter dem Titel „Freideutsche Jugend. Zur Jahrhundertfeier auf dem Hohen Meißner 1913“ bei Eugen Diederichs in Jena verlegt wurde, der auch die Idee dafür hatte. Nach seiner Vorstellung sollten „die bedeutendsten Führer des neuzeitlichen deutschen Geisteslebens zu Wort kommen, gewissermaßen in Ansprachen, mit Wünschen und Hoffnungen an die deutsche Jugend.“ Dieser Wunsch ging nur teilweise in Erfüllung, einige der Angesprochenen schickten aber, wenn sie keine Texte beisteuerten, zumindest wohlwollende Grußworte und Ermunterungen. Anders die Situation im vergangenen Jahr. Zum einen konnte sich der Vorbereitungskreis des Meißnerlagers nicht darauf einigen, eine solche Schrift als offizielle Veröffentlichung mitzutragen. Lediglich das Forum Mitte stellte sich voll und ganz hinter das Vorhaben. Zum anderen antworteten viele derjenigen, die um Mitarbeit gebeten wurden, überhaupt nicht oder lehnten, zumeist aus Gründen der Überlastung, ab, ohne auf den Anlass einzugehen. Die Absicht, hauptsächlich Menschen von außerhalb des bündischen Spektrums zu Wort kommen zu lassen, ließ sich deshalb nur bedingt und dadurch verwirklichen, dass auch schon veröffentlichte Texte mit aufgenommen wurden. Doch dank der Bereitschaft von „Insidern“, in die Bresche zu springen, konnte mit den bearbeiteten Themen und Thesen ein Spannungsbogen erzeugt werden, der die Schrift lesenswert macht und zur Besinnung einlädt.
Besinnung tut anlässlich des Meißner-Jubiläums Not, um sich selbst zu verorten, um die Bedeutung des Erbes der Jugendbewegung ermessen, Gefährdungen und Möglichkeiten für ein jugendbewegtes Leben im 21. Jahrhundert erkennen, solches bewusst gestalten und nach außen vertreten zu können. Diesem Anliegen ist die Schrift gewidmet. Sie knüpft damit bewusst an den Anspruch der Festschrift von 1913 an, denn „Zuspruch und ernste Erörterung“, so heißt es in deren Vorwort, kennzeichnen die darin versammelten Beiträge.
„Zuspruch und ernste Erörterung“ – in diesem Sinne ist auch die Festschrift Meißner 2013 zu verstehen. Sie kann und soll also weder zu einer ungebrochenen Verherrlichung geschichtlicher Ereignisse und Entwicklungen beitragen noch eine umfassende historisch-kritische Betrachtung liefern. Sie will vielmehr – und das war den Herausgebern weitaus wichtiger – zu einer wohlwollend kritischen Auseinandersetzung mit dem historischen Geschehen Jugendbewegung und ihrem Erbe einladen und Wege ins Heute zeigen. Mit diesem Anliegen richtet sie sich sowohl an die Gruppen und Bünde selbst als auch eine interessierte Öffentlichkeit darüber hinaus.
Daher versteht es sich von selbst, dass es in ihr nicht nur um das historische Meißnertreffen von 1913 und die Geschichte der Jugendbewegung gehen kann und dass der Umgang mit diesem ein Besonderer ist. Sofern die Beiträge sich direkt mit diesen Themen befassen, sind sie zuerst einmal als subjektive Deutung von Geschichte zu sehen: Was hat sie uns zu sagen, was liegt in ihr für uns verborgen? Im konstruktiven Gespräch und in der Umsetzung ins Handeln wird sich ihre jeweilige Sinnhaftigkeit erweisen. Die Beiträge, die sich nicht unmittelbar auf den Hohen Meißner beziehen, befassen sich mit Fragen, die den Meißnerfahrern aller Generationen wichtig waren, weil sie ihr Selbstverständnis betreffen.
So sehr die Beiträge mitunter ineinander greifen, lassen sich dabei doch insgesamt verschiedene thematische Schwerpunkte ausmachen. Einmal die Gruppe der Beiträge, die sich direkt mit Meißner und Jugendbewegung befassen, dann diejenigen Aufsätze, die unter dem Titel Natur, Gruppe und der Weg zum Selbst den jugendbewegten Erfahrungsraum aufzeigen. Dieser Erfahrungsraum bildete sich im Wandervogel heraus, zeigte sich 1913 auf dem Hohen Meißner erstmals im großen Rahmen der Öffentlichkeit und wurde quasi in der Meißnerformel verdichtet. In der Festschrift 2013 wird er nicht nur in seinen historischen Bedingungen und Wirkungen beschrieben, sondern als ein überzeitliches Phänomen bestimmt, das gerade heute – angesichts alles vereinnahmender und jeden Freiraum erstickender Zweckmäßigkeiten – seine volle Bedeutung entfalten kann. Seine entscheidenden Erfahrungsfelder sind die von Gruppe und Natur, die nicht zufällig, sondern in einem ganz spezifischen Zusammenspiel auf die Entfaltung und Gestaltwerdung eines reifen Selbst hin gerichtet sind. Dieser Dreischritt gibt auch die weitere Gliederung dieses Heftes vor.
Dem für die Jugendbewegung bedeutenden und konstituierenden Erlebnis von Gruppe und Gemeinschaft und dem Verhältnis von Mensch und Natur widmen sich weitere Artikel. Der Band schließt mit einer Reihe von Beiträgen, die sich mit Lebensweg und Lebenssinn überschreiben lassen. Der von außen kommenden Bestimmung über das eigene Leben stellten Wandervogel und Jugendbewegung in der Meißnerformel die eigene Bestimmung dessen, was für sie Leben ausmachte, entgegen.
Anliegen dieser Festschrift wie der einzelnen in ihr versammelten Beiträge ist also – ganz im Sinne der Meißnerformel – nicht das Programmatische, aus dem sich pragmatische Forderungen, gar politischer Art, ableiten ließen. Was in ihnen zum Ausdruck kommt, ist vielmehr das Bild einer Haltung und Lebensweise, die der Jugendbewegung eigen ist und als solche sehr wohl nach außen darstellbar und im Heute zu verteidigen ist. Das Irrationale, ins unbestimmte Letzte Drängende der Jugendbewegung verdichtet sich so in einer bestimmten, einer „anderen“ Art des In-der-Welt-Seins, die nach wie vor nichts von ihrer Faszination und Bedeutung eingebüßt hat. Hier ist Orientierung und Maßnehmen möglich, 1913 wie 2013.