Zwar wäre es mir möglich gewesen, im Jahr 1988 am Festakt zum fünfundsiebzigsten Jubiläum des Meißnertages teilzunehmen, aus verschiedenen Gründen kam es aber nicht dazu. Die Erzählungen davon und auch die Berichte in den diversen Zeitschriften und Dokumentationen - man schaute sich das natürlich an - ließen dann den Eindruck aufkommen, nichts wesentliches verpasst zu haben. Außer der Rede von Alfred Toepfer natürlich, dem letzten noch lebenden Teilnehmer aus dem Jahr 1913!
Sogar vom „Tiefpunkt des Treffens“ war die Rede, so weit, so gut, bzw. vielleicht auch nicht so gut.
Über die seither vielen vergangenen Jahre ist mir ein Festakt-Foto aus der damaligen Dokumentation nicht mehr aus dem Sinn gekommen: Zwei Pfadfinder im Studentenalter haben sich bei den hinten sitzenden Zuhörern erhoben und halten zwei Plakate in die Höhe mit der Aufschrift:  „Wo bleibt die Bewegung ?“ und „Hier steht die Jugend.“ Oft habe ich über diese Szene nachgedacht, zunächst durchaus unter dem Motto: „Tut doch gefälligst selbst was.“ Dann aber auch mit dem realistischeren Gedanken: „Was hätten sie denn konkret in dieser Situation tun können? Man kann doch nicht spontan eine eher mißlingende Großveranstaltung retten.“

Erst spät stieß ich in meiner Verantwortung für den Pfadfinderbund Kreuzfahrer zu den Vorbereitungen für das Einhunderter-Jubiläum, das Genehmigungsverfahren für unser Bundesheim „Wilhelmshöhe“ im Taunus war äußerst dringend zu bearbeiten und band alle Kräfte.
So stieß ich endlich im Februar 2011 anlässlich der Bundesführerversammlung auf Burg Ludwigstein zum Plenum. Morgens früh beim Joggen auf dem Schneehagenweg kam mir der Gedanke, zu einer großen Wanderung in Erinnerung an die Meißnerwanderung von 1913 aufzurufen, was ich dann auch tat. Durchaus mit dem Hintergedanken, diese utopischerweise mit allen zu machen. Allerdings stellte sich dann schnell heraus, dass die meisten Gruppen und Foren ihre Tage auf dem Jubiläumstreffen zu diesem frühen Zeitpunkt schon weitestgehend verplant hatten. Neben einigen weiteren Gedanken führte dann auch dieser Umstand zu der Idee, neben den bereits bestehenden vier Foren zusätzlich zum „Forum Mitte“ aufzurufen, mit diesem die Wanderung durchzuführen und mit diesem Plan zunächst vor allem benachbarte Gruppen aus dem Großraum Frankfurt/Main anzusprechen, was dann auf dem nächsten Bundesfühertreffen auf dem Kochshof auch geschah.
Einige Zeit danach, bei einem Vorbereitungstreffen unseres neu gegründeten, „späten“ Forums sprachen wir auch über die Festaktplanung mit dem Ergebnis: es wäre schön, wenn er im Gegensatz zu 1988 mit dem Abbrennen eines großen Feuerstoßes in der Abenddämmerung und einem freien Singen beendet würde. Im darauf folgenden Plenum wurde unser Vorschlag diskutiert und angenommen.
Irgendwann in der Folgezeit, mal wieder beim Joggen, stellte ich mir dann die Frage: wer sollte eigentlich diesen Feuerstoß entzünden? Und auf welche Art und Weise? Das müsste dem Anlass entsprechend doch in sehr besonderer Weise zelebriert werden. Dabei spukte mir dann auch wieder das alte Foto mit den Plakaten im Kopf herum.
Praktischerweise entfacht man einen großen Feuerstoß natürlich am besten mit einer Fackel, einen sehr großen am besten mit mehreren. Das müsste dann auf dem Hohen Meißner auch so sein - und mit den Fackeln müsste es zusätzlich noch eine Art von feierlicher Zeremonie geben. Hm.
Ein paar hundert Meter weiter dann: 100 Jahre - 100 Fackeln müssen es sein! Also klotzen. Zu diesem Anlass passt das!
Langsam entsteht vor dem „inneren Auge“ das Bild: Die Fackelträger stehen im Kreis um die Versammlung, die Flamme wird unter Aufruf des jeweiligen Jahres weitergereicht bis der Flammenkreis geschlossen ist, eben der „Jahrhundertkreis“.
Danach verlagert sich der Jahrhundertkreis um den Feuerstoß und die 100 Fackelträger entzünden ihn. So etwas hat bestimmt noch keiner gemacht, es wird dann zwar eng, aber das geht schon irgendwie. Nebenbei noch die Frage: wie wird die erste Fackel entzündet? Meines Erachtens beste Idee hierfür: Entzünden oben auf dem Berg an dem historischen Meißnerstein, dann Fackellauf zum Festplatz und Beginn des Jahrhundertkreises.
In einem Telefongespräch mit Peter Ausdemwald vom Jungenbund Phoenix kommt von ihm der Vorschlag, beim Entzünden des Feuers die „Ode an die Freude“ zu singen. „Das haben die 1913 auch gemacht!“ Wow, wußte ich nicht-das passt!
Zur nächsten Idee ist es nicht mehr weit: Anwesende Bundesbanner werden bei Aufruf des jeweiligen Bundesgründungsjahres zur entsprechenden Fackel gestellt. Es werden also die Jahre und die Bünde aufgerufen, sonst: Schweigen. Keine Betroffenheitsadressen, z. B. bei problematischen Jahren usw., sondern: „Kino im Kopf“ der Anwesenden. Keine Beschulung, nur Jahreszahlen und Bundesnamen, ganz archaisch-so die Idee im Ursprung. Aber: Mit Blick auf das alte Foto auch der Wunsch nach möglichst viel Beteiligung der Festversammlung, nicht nur schweigendes Konsumieren, möglichst wenig „Frontalunterricht“. Wie soll man das zusammenkriegen?
So weit der Ideenbestand im Vorfeld der Bundesführerversammlung kurz vor Ostern 2013 in Immenhausen. Dort stelle ich den Jahrhundertkreis vor und er wird als Vorschlag für die Umrahmung des Festaktes angenommen. Und ich komme nun natürlich nicht drumherum, Mitglied der „AG-Festakt“ zu werden. Wer A sagt…
Die nachmittägliche Sitzung der AG ist äußerst fruchtbar. Es ist ein Team zusammengekommen, dem ich heute noch sehr, sehr dankbar bin! Wir diskutieren, ob man den Kreis eventuell von zwei Seiten aus um die Versammlung wachsen lassen sollte-die spätere Lösung. stichel vom BdP hat die tolle Idee, das Feuerholz vor der Bühne zu deponieren und es dann Stück für Stück durch die Versammlung zu reichen und somit den Feuerstoß während des Festaktes erst aufzubauen-Beteiligung der Masse, super! magges vom VCP Alt-Burgund hat die phantastische Idee mit den 100 Stelen, auf die die Fackeln aufgesteckt werden sollen. Die helfen uns nun auch bei der Behandlung der schwierigen Jahre 1933-1945, die wir nicht „dunkel“ lassen wollen, was auch vorgeschlagen wurde. Nein, sondern die Fackeln auf diesen Stelen bleiben auf ihnen zurück und verbrennen dort, fern vom großen Feuer.
Bezüglich der zu singenden Lieder habe ich nun den Gedanken, diese eventuell chronologisch nach Entstehungsjahr dem allmählich wachsenden Jahrhundertkreis anzupassen, was dann aber hieße, dass dieses Wachsen immer wieder zeitlich unterbrochen würde-die spätere Lösung. Das Entstehen des Jahrhundertkreises wird also den ganzen Festakt von Beginn bis Schluss wie ein roter Faden durchziehen.
Wir sind in der AG gut weitergekommen und der Besuch des Lagergeländes bringt wieder wichtige Erkenntnisse bzgl. Bühne, Stelenkreis und Lage des Feuerstoßes. Auch entschließen wir uns dazu, ein möglichst junges und geeignetes Moderatorenpaar für die Veranstaltung zu finden. Es gibt erste Vorschläge.
Mir kommt zusätzlich der Gedanke, die Anonymität der Festversammlung noch weiter dadurch zu durchbrechen, dass alle Fackelträgerinnen und -träger namentlich von der Bühne aus aufgerufen werden und aus dem Plenum heraus an ihre Stele gehen sollen. Erste Bünde teilen uns ihr Gründungsjahr mit.
Die Folgewochen bringen dann in Masse per e-mail und Telefongesprächen die Behandlung der tausend Detailfragen. Ideen haben und sie dann wirklich in die Tat umzusetzen sind eben doch verschiedene Dinge. Wer hält die Reden? Wie müssen wir die Zeiten kalkulieren um gut in die Dämmerung zu kommen? Welche Lieder werden warum und an welcher Stelle gesungen? Was kostet das Ganze und wie wird’s finanziert? Wer organisiert seniorengerechte Sitzplätze? Wieviele Helfer brauchen wir? Und und und… so geht es im Prinzip bis zum ersten Oktoberfreitag. 10% Inspiration, 90% Transpiration, wie es so schön heißt.
Als ich Donnerstags mit der Wandergruppe den Lagerplatz erreiche, hat magges bereits in einer unglaublichen Kraftaktion den Stelenkreis auf den Platz gezaubert, perfekt ausgerichtet! Letzte Orgabesprechungen, z. B. bezüglich Fackelträgern, Ansagen, Proben, Bühnenmusik usw. folgen auf dem Fuß. Gott sei Dank sieht der Wetterbericht gut aus, aber eben nur noch für den Freitag!
Und irgendwann muss man dann durch, ein unglaubliches Wechselbad der Gefühle gesellt sich zur Anspannung und Aufregung. Aber die Dinge klappen dann ganz gut, einige Male kommt richtig Stimmung auf, der Feuerstoß wächst allmählich. Und die Fackelläufer vom Meißner kommen tatsächlich mit der beginnenden Dämmerung an, während die teilweise etwas zu lang geratenen, aber guten Festansprachen langsam dem Ende entgegen gehen. Bald brennen alle Fackeln auf den Stelen, der Jahrhundertkreis ist geschlossen! Von der Bühne aus betrachte ich nun den Zug der Fackeln zum Feuerstoß. Es wird mucksmäuschenstill, die Festversammlung lässt sich von dem Schauspiel gefangen nehmen. Sieben Minuten Stille-unglaublich! Dieses Bild und dieses Erlebnis werde ich in meinem ganzen Leben niemals vergessen.
Endlich schlagen die ersten Flammen in die Höhe und wir singen die Ode. Der Festakt ist Geschichte und das freie Singen am Feuer nimmt seinen Lauf.

Volker Michel (mickel)
Pfadfinderbund Kreuzfahrer

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