Die Erzähljurte

 Auf die Frage, zu welcher Kategorie (Boote? Burgen? Baumeister?) des gleichnamigen Forums sich denn bitteschön eine Erzähljurte rechnet, hatte die Besatzung der blauen Jurte eine klare Antwort: „Baumeister“ natürlich! Denn wer gut erzählt, baut Welten mit Worten.

Weil der Begriff des Geschichtenerzählens in der Gegenwart zum einen meist in Verbindung mit Lügen oder Geplapper („Erzähl‘ mir bloß keine Geschichten!“) oder Kinderbelustigung gebracht wird, sich zum anderen die meisten Menschen das geplante, von künstlerischen Überlegungen geleitete Erzählen nicht zutrauen („Ich kann nicht gut erzählen…“), haben drei Pfadfinder aus dem Kreis der Märchenjurte beschlossen, ihr blaues Zelt auf dem Meißnerlager aufzuschlagen, um zu beweisen, dass Erzählen und Zuhören völlig zeitgemäße, sinnliche und ästhetisch wertvolle Tätigkeiten sind, die

  1. Gemeinschaft stiften, Frieden in die Herzen und ein Lachen in die Augen bringen,
  2. sich speziell im bündischen und pfadfinderischen Kontext aufgrund ihrer Unabhängigkeit von räumlichen und technischen Gegebenheiten ideal als Kulturträger für Fahrten, Lager, Singeabende und Sonstiges eignen und
  3. von jedem und jeder beherrscht werden können.

Dieser selbstgewählten Mission sind wir nachgekommen, in dem wir zwei Erzählabende veranstaltet haben, bei denen die Gäste nach einem kleinen Aufwärmtraining durch die Gastgeber selbst auf dem Erzählthron Platz nehmen und eine Geschichte erzählen konnten - was sie dann auch taten, vom Elf- bis zum Siebzigjährigen, mehr oder weniger aufgeregt, aber mit sichtlicher Freude, die sich immer auf die Zuhörenden übertrug.

Über diese beiden Veranstaltungen hinaus gab es viele Gespräche mit Interessierten über das Geschichtenerzählen sowie die Möglichkeit, die wichtigsten Grundlagen und elementaren Übungen dieser Kunst als kleines (DIN A6) Vademekum für Erzähler_innen mitzunehmen, dass extra aus Anlass des Meißnerlagers erstellt und gedruckt worden war (noch erhältlich über epubli.de). Und wer auch hier lieber selbst Hand anlegen wollte, konnte das bei einer Arbeitsgemeinschaft Buchbinden tun, die von der Erzähljurte angeboten wurde: alle Teilnehmer_innen nannten am Ende ein selbst gebundenes Vademekum und ein noch zu füllendes Notizbuch mit japanischer Fadenheftung stolz ihr Eigen.

Wenn nur bei einigen von denen, die beim Meißnerlager durch die Erzähljurte in Berührung mit dieser wunderschönen Kunst gekommen sind, der Funke übergesprungen ist und sie ihn weitertragen, dann wären die Baumeister der Worte mit ihrem Werk schon sehr zufrieden.